Vor circa drei Wochen, hatte ich das Vergnügen den belgischen Neo-Chartstürmer, Stromae, zu interviewen. In einem Hotel am Ring stand er einen Tag nach dem CD-Präsentationsevent in der Babenberger Passage, Rede und Antwort.
Paul van Haver aus Brüssel ist 25 Jahre alt, tritt prinzipiell in nerdig-eleganten-old-school Klamotten auf, entzückt mit seiner hochgezogenen Augenbraue und eroberte die Dance-Liebhaber mit seinem Hit „Alors On Danse“ sofort im Sturm. Auf seiner Promo-Tour durch Europa wird er von seinem DJ, seinem Cousin, der alle Interviews filmt und Bilder macht, sowie von seinem Manager begleitet. Vor unserem Gespräch entschuldigte er sich, weil er noch schnell eine Zigarette rauchen wollte. Währenddessen sorgte sein Cousin für Unterhaltung. Sein DJ war mit seinem MacBook beschäftigt und dann kam er endlich zurück…Stromae… ein herrlich verrückter Musiker, mit sehr viel Herz und interessanten Lebensphilosophien!
Wie geht’s dir?
Stromae: Mir geht’s gut. Ich habe gerade noch meine Zigarette geraucht. Also alles ist okay. Und dir?
Danke. Sehr gut. Ich hatte keine Zeit mehr, um eine zu rauchen.
Stromae: Oh, du rauchst auch? Wieso hast du nichts gesagt? Wir hätten gemeinsam gehen können.
Du hast mich ja nicht eingeladen!
Stromae: Ach. Ich hätte dich gern eingeladen, aber wenn du nicht rauchen würdest, würde das Angebot ein wenig schräg rüberkommen. (grinst)
Na egal. Hauptsache du hast deinen Nikotin-Schuss genießen können und bist fit für das Interview.
Stromae: Oh ja! Das bin ich!
Wie gefällt dir Österreich denn so? Hast du dir schon etwas ansehen können? Sehenswürdigkeiten?
Stromae: Eure Stadt ist wunderschön und voller Geschichte. Morgen… nein, heute Abend fahren wir nach Salzburg. In die Stadt von Wolfgang Amadeus Mozart. Das große Genie. Bis jetzt habe ich noch nicht viel gesehen hier in Wien. Ich war lediglich im Café Demel, um einen Café und ein paar Mehlspeisen zu testen. Ich weiß, etwas klischeehaft aber mir gefiel‘s. In Französisch heißen die Mehlspeisen „viennoiserie“. Da kommt also Vienne vor (lacht). Egal… lecker war’s, aber sehr süß, mit viel viel viel Zucker!
Hat es dir gefallen vor deinen Wiener Fans im Club „Babenberger Passage“ aufzutreten und dein neues Album vorzustellen?
Stromae: Wow, da waren massenhaft Leute dort. Unglaublich! Irgendwie verrückt und es war wirklich neu für mich, dass sich Menschen um ein Autogramm von mir oder ein Foto mit mir, ewig anstehen und sich durch den verschwitzten Club kämpfen. Ich will jetzt wirklich nicht fake klingen und euch erzählen, dass es die beste Stadt war, die ich jemals gesehen habe und so ein Blabla, aber echt, der Abend in Wien mit meinen Fans war sehr schön, verrückt, berührend und unvergesslich.
Lass uns doch schon mal ein wenig über deine neue Scheibe plaudern. Sie heißt ja „Cheese“.
Stromae: Oh ja, Cheeeeessseee! (lacht) Ein Statement, um zu verstehen zu geben – alles ist okay! Ich will aber nicht den Moralapostel spielen oder jemand zu sagen wie er sein Leben leben soll. Ich bin ja erst 25, aber den einzigen Rat den ich allen geben kann, was übrigens auch meine Philosophie ist – Sei pessimistisch, um dann positiv überrascht zu werden! Das ist wirklich das einzige, was ich den Leuten mitgeben kann. Warum ich das Album „Cheese“ genannt habe, ist folgender: Kannst du dich an deine Schulzeiten erinnern und an die jährlichen Fotos die gemacht werden?
Ja, na klar.
Stromae: Das ist ja auch so ein Klischee. Wie man dort sitzt. Angezogen ist. Sich hinsetzt. Genauso sehe ich eben auch auf dem CD-Cover aus. Spießig und angepasst und man kann den Fotografen förmlich „Cheese“ rufen hören. Es geht mir dabei aber nicht darum, dass man grinsen und lächeln muss, weil das Leben so hart ist. Nein. Es ist einfach so, dass man eine kleine Hülle um sich hat, mit einem Grinsen. Ja. So irgendwie. Aber sonst ist die CD einfach eine Dokumentation von elektronischer Musik. Ich dachte es wäre möglich, denn Bands und Musiker wie „Faithless“ oder „The Streets“ zeigten mir, dass ein Crossover zwischen vielen verschiedenen Stilen funktionieren kann. „Faithless“ hat so eine Mischung aus Reggae/Ragga mit Trance und dabei auch noch verdammt geniale Lyrics, die etwas aussagen. Und alles ist unter dem Hut Electro verpackt. Du kannst dazu tanzen, aber auch darüber nachdenken. Es ist möglich. Ich habe so eine ähnliche Mischung auf meinem Album versucht. Es ist für mich wie Therapie. Ja, wie Therapie irgendwie.
In der Story vom Video zu der neuen Single „Te Quiero“, wo es um eine pessimistische Love-Story geht, sollte ich am Schluss meine Frau und die Kinder verlassen. Ich wollte das aber nicht und der Regisseur sagte mir dann in der Pause: „Hey, jetzt fällt es mir erst auf, aber du hasst es wirklich Entscheidungen zu treffen oder?“. Und ja, es stimmt, ich kann mich oft nicht entscheiden. Das Video war also eine Art Therapie für mich, weil mich der Regisseur so schnell „lesen“ konnte und ich erst an dem Tag realisiert habe, dass er recht hat. Ach, lange Story, sorry! (grinst)
Nein, nein, macht nichts!
Stromae: Jedenfalls ist es bei mir so, dass ich Entscheidungen immer… repousser…Ah, wie heißt denn das auf Englisch? (Der Cousin ruft nach David, den „Übersetzer“ und Freund von Stromae“).
Du meinst, hinausschieben, oder?
Stromae: Ja, genau, Hey, du kannst französisch?
Nur ein bisschen.
Stromae: Repousser ist aber kein einfaches Vokabel. (lacht) Also, du verstehst was ich meine, oder?
Ja, ja.
Stromae: Ich will eben niemanden verletzten. So bin ich eben und das spürt man auch bei meinem Album, finde ich. Ich zeige nur auf was Fakt ist, lege mich nicht fest und gebe zum Beispiel auch nicht vor ein Fake-Leben mit fetten Häusern und Autos zu führen, wie die Rapper aus Amerika oder so.
Gibt es eigentlich irgendeinen Musiker, denn du verehrst und zu dem du aufsiehst?
Stromae: Na klar. Für mich ist das Jacques Brel. Ein belgischer Musiker. Ich stehe zwar nicht auf alle Songs, die er gemacht hat, aber die meisten sind genial. Also, wenn ich einen Künstler wählen müsste, wäre es Jaques. Er ist brillant und seine Lyrics unglaublich! Ich respektiere ihn sehr!
Vor circa einem Jahr hast begonnen zu Hause gedrehte Videos von dir bei YouTube upzuloaden.
Stromae: Yeah.
Diese Videos haben den Titel „music lessons“.
Stromae: Yeah.
In diesen Videos zeigst du den Zuschauern und Fans, wie deine Songs entstehen.
Stromae: Yeah.
War es deine Absicht nur über YouTube bekannt zu werden, es also online zu schaffen oder war das eher nebensächlich und du hast dich zum Beispiel eher darum bemüht in der Musikszene Brüssels Fuß zu fassen?
Stromae: Naja, es war eine Art es zu versuchen. Das Ziel war es meine Musik zu verbreiten. Es war aber eigentlich die Idee meines Managers, auf YouTube aktiv zu werden und nicht meine. Er ist sehr amerikanisch. Also, er ist schon aus Belgien, aber hat amerikanische Ansichten, was das Business angeht. (grinst) Aber beides zu kombinieren, war sicher eine sehr gute Art und Weise mich als Musiker darzustellen, vorzustellen oder so. Mir war es allerdings wichtig, dass es nicht in einem Umfeld passiert, wo ich als Person nicht hinein passe. Zum Beispiel in einer Villa oder in einem komischen Zimmer mit Designer-Couch usw.. Deshalb haben wir es in meinem Jugendzimmer, in meinem Elternhaus gedreht. Sehr simple. Und ich spiele mich in den Videos auch nicht als großer Komponist auf. Nein, ich bin da eher, ja, ich finde mich nicht so toll und weiß, dass ich nicht der beste Piano-Spieler bin oder so. Ich bin ein Cheap-Maestro (lacht)!
In der „music lesson nr.8“…
Stromae: Yeah.
(ich kann mich nicht mehr zurückhalten und breche in lachen aus) Ah, ich kann nicht mehr.
Stromae: Yeah.
Oh Gott. (ich lache noch immer) Bitte, lass mich kurz ausreden und sag nicht wieder YEAH!
Stromae: Yeah. (er lacht laut, sein Cousin kann es sich auch nicht mehr verkneifen) Okay, sorry, ich mach’s nicht mehr wieder. Aber ich liebe es, dich zu verwirren.
Ppfff, na danke. Okay. Egal. Wo war ich? Also. Noch mal. In diesem einem Video, spielt du deine Hit-Single „Alors On Danse“, das erste Mal live vor Publikum. War das wirklich so oder ist das doch nur gestellt?
Stromae: Nein, nein, es war echt so. Im Publikum waren Freunde und Familie. Naja, auch sehr viele die ich nicht kannte, aber ja. So war das. Und es war unglaublich, Leute abtanzen zu sehen, zu einem Song den sie noch nicht kannten. Meinem Song! Es war also auch eine sehr spezielle „music lesson“-Präsentation.
Kommen wir zu deinem Künstlernamen. Stromae ist ein Wort in Verlan, eine Jugendsprache aus Frankreich, bei der mit Buchstaben jongliert wird. Und Stromae bedeutet eigentlich Maestro. Puh, schwer zu erklären. Aber sprichst du Verlan?
Stromae: Na klar. Und es ist eigentlich keine Jugendsprache mehr. Jeder kann Verlan. Es kam vor circa fünf Jahren aus den Ghettos in Paris zu uns nach Belgien und ja, wenn ich „ouf“ (Verlan) sage, weiß jeder dass „fou“ (Französisch) gemeint ist (=ein Narr/ein Irrer oder auch Idiot).
Ach, okay. Cool. Hast du eigentlich ein Lieblingslied auf deinem Debütalbum „Cheese“?
Stromae: Ich würde jetzt einfach sagen, es ist der Song „Cheese“. Jeder sollte sich vielleicht eine Übersetzung der Lyrics besorgen, denn dann versteht ihr es 100-pronzetig und wisst warum ich diesen Song so mag. Ich erkläre im Song quasi, warum ich das Album so genannt habe. Lächeln ist meine Therapie und mon arme… Daviiiddddd, commont s’appelle une arme?
Eine Waffe? Pistole?
Stromae: Ja, genau. Du wirst meine neue Übersetzerin, denn David pennt anscheinend und ist eigentlich unbrauchbar. (lacht) Na, also, was ich sagen wollte. Ein Lächeln ist diplomatisch und die beste Waffe die ich besitze.
Eigentlich hast du ja mit einer Hip Hop-Gruppe angefangen. Jetzt bist du solo unterwegs. Was bevorzugst du?
Stromae: Puh… Solo, ja, weil ich finde, dass ich in der Vergangenheit nicht offen war. Offen neuem gegenüber oder anderem. Close-minded. Ich wollte schon damals eine kreative Arbeit abliefern, aber heute will ich das irgendwie mehr. Ich war eher ein Imitator und nicht ich selbst. Ich habe nichts für mich selbst geschaffen, sondern mir vieles von anderen abgeschaut. Heute ist das anders – ich habe meinen eigenen Stil gefunden. Jetzt bin ich erwachsener geworden, ja, und habe mich verändert und meine Musik auch. Oder ja, mein Verständnis für Musik. Ich bin auch sehr stolz darauf, dass ich in die „Hip Hop-Schule“, wie ich sie nenne, gehen durfte. Aber die Musik meiner Eltern und meiner Brüder hat mich auch sehr geprägt. Also, ich bevorzuge es solo Musik zu machen. Dann bin ich, wie ich bin. Wie ich sein will.
Was machst du eigentlich zuerst – schreibst du zuerst die Lyrics und komponierst dann die Melodien, also den Song, oder anders rum?
Stromae: Die Musik, weil sie instinktiv da ist. Dann kommen die Lyrics. Umgekehrt finde ich irgendwie nicht gut, naja, also es funktioniert für mich einfach nicht.
Zwei kurze Fragen noch: Was liebst du?
Stromae: Meinst du ein Ding? Eine Person? Oder was?
Du kannst es dir aussuchen. Was dir zuerst einfällt.
Stromae: Puh… (denkt lange nach). Okay. Meine Familie – meine Mutter, meinen Vater, meine Brüder, meine Frau, äh, okay, wir sind nicht verheiratet, aber meine Freundin eben. Äh, ja, und meine Freunde natürlich.
Was kannst du gar nicht leiden?
Stromae: Hypocrisie. Äh – c’est quo ca en anglais? David? David?
Ist das gleiche Wort. Hypocrisy. Heuchelei und Scheinheiligkeit, also?
Stromae: Ach, sorry, habe vergessen, dass du die neue Übersetzerin bist (lacht). Aber nein, ich wollte eigentlich Lügen und Lügner sagen!
Wenn ich einen Job brauche, melde ich mich bei dir! Danke für das nette Interview! Viel Erfolg und viel Spaß in Salzburg!
Stromae: Danke dir! Hat mir sehr viel Spaß gemacht!
—> Und hier noch ein englischer und französischer Gruß an euch, meine lieben Leser. Obwohl Stromae wohl glaubt, dass man einen Blog SIEHT, wie eben einen TV-Channel.
you are very funny in this interview
LikeLike
Pingback: Stromae :: The new Jacques Brel « Anja Murez
Stromae ist einfach der beste und scoenste Mann den es auf dem Welt gibt. Ich liebe Stromae
LikeLike
Stromae ist der beste singer auf em ganze welt!!! Ich liebe der Typ so viel. Wenn ich ihn einfach auf em strasse sehe kuesse ich ihn!!! :-* XD
iCH FINDE IHN AUCH VOLL SUEZZ!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
LikeLike
Irgendwie wirkt er verdammt jung, wie ein kleiner Lausbub, kein mid-twen 😉 Warum übersetzt du die Interviews eigentlich alle? Ich persönlich würd sie irgendwie lieber im Original lesen. Aber ich bin hlat generell ein bisschen anglophil 😉
LikeLike
Yeah! Verlan kannte ich auch noch nicht; das Wort dürfte aber einfach „reverse language“ bedeuten, oder?
Ich sage mal, ich finde Stromae sehr sympathisch, auch wenn ich mit seiner Musik leider gar nichts anfangen kann. Von „Alors on dance“ bekomme ich regelmäßig Kopfschmerzen, obwohl ich den Text sehr cool finde.
LikeLike
Schönes Interview! Er hat Recht, Brel ist wirklich toll. Verlan kannte ich noch nicht, da muss ich gleich mal googeln!
LikeLike